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  • AutorenbildPetra von Alvensleben

Das Gefängnis

Aktualisiert: 11. Dez. 2019

Stell dir vor, du hast lange Zeit in einem Gefängnis verbringen müssen, hast dort einiges gelernt, und nun ist es soweit, daß du in die Freiheit darfst. Du hast dich gut geführt dort, und so hat man dir eine kleine Starthilfe ermöglicht: du erhälst eine EC-Karte mit einem kleinen Startguthaben auf deinem neuen eigenen Konto, und ein Vorstellungsgespräch bei einem Unternehmen, daß deinen Fähigkeiten entsprechen könnte, wurde arrangiert. Der Arbeitgeber weiß von deiner Vergangenenheit. Er ist offen und erwartet dich.

Die Tore öffen sich, und du trittst hinaus. Die Sonne ist viel zu hell, die Autos zu laut, die Menschenmassen zu chaotisch. Du treibst vorerst ziellos durch die Straßen, fühlst dich noch verloren und fremd. Ein wenig orientierungslos. Als du Hunger bekommst, willst du dir Geld von der Bank holen, weißt aber gar nicht, wie das mit der Karte am Automaten funktioniert. Zu fragen traust du dich nicht: alle anderen scheinen ja genau zu wissen, wie es funktioniert. Du schämst dich, für dumm gehalten zu werden und vermeidest es zu lernen, wie man mit der Karte umgeht. Doch der Hunger und der Durst werden stärker. Und so greifst du auf dein "altes Handwerkszeug" zurück: du stielst dir dein Essen. Trotz der langen Zeit im Gefängnis, weißt du noch genau, wie es geht.

Auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch entscheidest du dich, nicht dort hinzugehen. Sicher wird der neue Chef dich ablehnen, finden dich die Kollegen unangenehm. Du erwartest, so behandelt zu werden, wie du früher behandelt wurdest, und statt es auszuprobieren und neue Erfahrungen zu machen, greifst du auch hier auf altes Handwerkszeug zurück. Deine alten Erfahrungen und Erwartungen prägen deine Zukunft.

So ist es auch häufig in der Therapie. Im geschützen Rahmen machst du Fortschritte, lernst du dazu, erkennst du neue Seiten an dir. Im Alltag aber, stehen diese neuen Erfahrungen oftmals nicht sofort zur Verfügung. Es braucht Langsamkeit, Vertrauen, vielleicht noch ein wenig Begleitung, um sich immer wieder rückzuversichern. Zu schnell in alltägliche Streßsituationen geworfen, bleibt uns häufig nichts anderes übrig, als die alten Werkzeuge und Verhaltensmuster zu nutzen. Fast automatsich stehen sie uns zur Verfügung. Man ist geneigt, dies einen Rückschritt zu nennen.

Man sollte nicht zu streng mit sich sein. Diese alten Muster schützen uns. Sie bewahren uns vor Schlimmeren. Es sind unsere Überlebensanteile. Sie verhindertn Wachstum, deshalb ist es nötig, daß sie in der Hintergrund treten und einem neuen Potential Raum geben. Doch in "gefährlichen" Situationen stehen sie uns sofort zur Verfügung, und wir dürfen uns dafür nicht bestrafen.

Es ist ein Lernprozeß mit Vor- und Rückschritten. Und je mehr wir erkennen, wann wir im Überlebensmodus sind und wann wir Kontakt zu unserer lebendigen Kraft haben, je mehr wir unterscheiden können und beide Qualitäten wertschätzen, desto besser gelingt ein Wandel. Dann verändern sich die Überlebensmechanismen. Sie übernehmen dann nicht mehr die Führung, sondern dienen uns in einem besseren Kontext als Unterstützung. Die Geschicklichkeit beim Stehlen kann vielleicht anderweitig sinnvoll eingesetzt werden.....

Menschen an der Seite zu haben, die dir immer wieder Mut zu sprechen, vielleicht auch mal ehrlich Kritik äußern, die aber grundsätzlich an dich glauben, ist eine wertvolle Ressource.....Solange, bis du diese Stimme des Zuspruchs in dir selbst findest, bis du selbst an dich glaubst, solange, bis du weißt, wer du bist....

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